Ein Forschungsprojekt des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität Basel

Im Sommer 2024 konnten wir während jeweils vier Wochen in zwei Alters- und Pflegeheimen in Basel-Stadt unsere erste ethnographische Feldforschung durchführen. Uns leitete die Fragestellung: Was bedeutet ‘Partizipation’ in Bezug auf Bewohner:innen von Alters- und Pflegeheimen? Was verbinden Bewohner:innen, Angehörige und verschiedene Fachpersonen mit dem Begriff? Wann, wo, wie, mit und durch wen wird ‘Partizipation’ praktiziert? Oder auch nicht – und warum?

Durch den ethnographischen Forschungsansatz konnten wir uns dem weit gefassten Begriff ‘Partizipation’ möglichst offen annähern. So wollten wir ‘Partizipation’ nicht im Voraus definieren, sondern von Bewohner:innen der Alters- und Pflegeheime, von ihren Angehörigen und von verschiedenen Fach- und Führungskräften erfahren, was der Begriff für sie bedeutet.

Hauptmethoden der ethnographischen Feldforschung sind unter anderem Beobachtungen, informelle Gespräche und Interviews. Wie das folgende Beispiel zeigt, erlaubt der ethnographische Ansatz, die Forschung unmittelbar im Lebens- und Arbeitsalltag im Alters- und Pflegeheim einzufügen und auch Menschen mit Demenz in der Forschung miteinzubeziehen.

An einem sonnigen Donnerstag Mitte Juni findet in einem Alters- und Pflegeheim über Mittag ein Grillfest statt. Im Erdgeschoss mit direktem Zugang zum Garten sitzen an zwei grossen Tischen etwa 15 Bewohner:innen zusammen mit Pflegefachpersonen, Fachpersonen der Aktivierung und Alltagsgestaltung, einem Zivildienstleistenden und zwei Angehörigen beim Essen. Die Stimmung wirkt fröhlich, entspannt, aber nicht laut und ausgelassen; es wird nicht viel geredet, es läuft Schlagermusik, zu welcher vor allem einzelne Fachpersonen immer wieder mitsingen und -tanzen. Es sind fast alle Bewohner:innen der Wohngruppe anwesend, auch solche, denen es gesundheitlich in dem Moment weniger gut geht. Das Essen scheint allen zu schmecken. Es gibt Diverses vom Grill, Salate und Dessert und die Fachpersonen und Angehörigen helfen den Bewohner:innen, ihr Essen zusammenzustellen. Da die meisten von ihnen mit einer Form von kognitiver Einschränkung leben, werden sie bei der Auswahl unterstützt, indem die Fachpersonen und Angehörigen ihnen die zur Auswahl stehenden Optionen zeigen und teilweise auch Vorschläge machen. Wer selbstständig essen kann, tut das, bei anderen Bewohner:innen setzen sich Fachpersonen dazu und helfen Ihnen beim Essen. Zweimal sehen wir auch, wie sich Bewohner:innen gegenseitig beim Essen helfen.

In der Küche auf den jeweiligen Wohnbereichen, wo normalerweise gegessen wird, dauert das Essen deutlich weniger lange; Viele Bewohner:innen mit Demenz haben einen sehr starken Bewegungsdrang, werden schnell unruhig und gehen aus der Küche. Am Grillfest aber fällt auf, dass die Gruppe beisammen bleibt, die Bewohner:innen ruhig und zufrieden wirken und lange sitzen bleiben.

An diesem Beispiel lassen sich verschiedene Aspekte illustrieren, die uns während der Feldforschung mit Bewohner:innen, ihren Angehörigen und verschiedenen Fachpersonen vermehrt begegnet sind. Auf einen Aspekt möchte ich im Folgenden vertiefter eingehen:

Die Frage, was ‘Partizipation’ sei, wurde von den Forschungsteilnehmenden meistens direkt mit physisch bei etwas dabei sein, wie beispielsweise einer Aktivität wie dem Grillfest, in Verbindung gebracht. Von den Fachpersonen wurde sehr viel Aufwand betrieben, damit alle alle Bewohner:innen der Wohngruppe am Grillfest dabei sein können, auch die, die sehr krank sind, nicht mehr lange sitzen und nicht mehr selbstständig essen können. In einem Interview beschrieb eine Fachperson ‘Partizipation’ von Bewohner:innen als “[s]ich beteiligen können. (…) Ein Teil von einem Ganzen Sein. […] Sei es eine Lebensgemeinschaft, (..) eine Wohngruppe, (..) ein Teil in einer kleinen Gesellschaft, die seinen Wert hat, egal was, (.) wie, wo, Kognition oder das körperliche Befinden, egal.(Interview Fachperson Aktivierung und Alltagsgestaltung, Juni 2024). Wie lange die Bewohner:innen an der kleinen Gesellschaft teilnehmen wollten und ob sie sich dabei aktiv beteiligten oder nicht, spiele keine Rolle; denn bei diesem Dabeisein gehe es primär darum, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Eine andere Fachperson beschrieb es so: “[W]ie ist es zu Hause [beim Kochen]? Es gibt auch nur vier oder fünf, die etwas machen. Der Rest bleibt dabei und fängt an zu reden. Oder schaut zu. Das ist das Wir-Gefühl. Das muss verstärkt werden. Es ist nicht schlimm, wenn nicht alle schnippeln können. Dann ist es nicht traurig. Aber ich bin dabei. Es ist wie zu Hause.” (Interview Fachperson Aktivierung und Alltagsgestaltung, Juni 2024)

Besondere Anlässe wie das Grillfest, Geburtstags- oder Weihnachtsfeiern vermögen es Fachpersonen immer wieder zum Staunen zu bringen: es scheint, als würden auch schwer erkrankte Bewohner:innen wieder temporär Teile ihrer früheren körperlichen und kognitiven Fähigkeiten zurückerlangen; so essen sie zum Beispiel teilweise auch komplett selbstständig und auch grössere Mengen als sonst oder freuen sich darauf, beim Decken des Tisches mitzuhelfen, eine Aufgabe, die sie im sonstigen Alltag oft nicht mehr in Angriff nehmen wollen: «Wenn ich ein Geburtstagsfest habe. Goldrandgeschirr. Das geht. Ich bin immer fasziniert. Da ist die Gabel am rechten Ort. … Da ist die Gabel. Da brauchen wir keinen Löffel. Da ist die Erinnerung noch stark.» (Interview Pflegefachperson, Juni 2024)

Was können wir von solchen besonderen Anlässen wie dem Grillfest für unsere Forschung lernen? Unsere Forschungsteilnehmenden verstehen ‘Partizipation’ als einen sehr vielseitigen Begriff. Teil einer Gemeinschaft zu sein sehen sie im Kontext von Pflegeheimbewohner:innen als eines der Kernelemente von ‘Partizipation’. Anhand des Grillfests zeigte sich Partizipation zum Beispiel daran, wie die Bewohner:innen, Angehörigen und verschiedene Fachpersonen zusammenarbeiteten, um die Teilnahme an diesem Anlass auch sehr kranken Menschen zu ermöglichen. Uns stellt sich die Frage, wie es auch im Alltag, ausserhalb von solchen speziellen Anlässen gelingen kann, den Bewohner:innen zu ermöglichen Teil einer Gemeinschaft zu sein?  Solche und weitere Fragen rund um das Thema Partizipation von Menschen in Alters- und Pflegeheimen werden uns die kommenden 4 Jahre begleiten, und wir freuen uns darauf, gemeinsam mit den Bewohner:innnen, den Angehörigen und den Fachpersonen in den Alters- und Pflegeheimen nach Antworten zu suchen.